[...] Moritz Hasse bereist Städte und photographiert. Dann kehrt er in sein Atelier zurück und übersetzt diese Motive in Ölmalerei. Es entstehen keine photorealistischen Arbeiten, auch keine Konstruktionen der Wirklichkeit. Trotz eigenartiger Unschärfe meint man das Photo noch recht genau erkennen zu können, doch sieht man wirklich alles?
Hasses Thema sind nicht die repräsentativen Sehenswürdigkeiten einer Stadt, nicht deren Prachtstraßen oder Boulevards. Vielmehr sind es die kleineren und größeren Straßenzüge, in denen gewohnt wird, in denen der Müll sich an der Straßenecke stapelt, ein Autowrack geparkt oder ein Wohnwagen abgestellt ist. In diesen Straßen spürt man die Anwesenheit von Menschen, die jedoch in Hasses Bildern nur selten - und niemals als Protagonisten - präsent sind. Man meint die Spuren des Alltags zu erkennen, dabei zeigt Hasse sie gar nicht explizit. Man spürt das Leben und doch liegen diese Straßen in seltsam gleich bleibender, unaufgeregter, nahezu unantastbarer Atmosphäre da.
Schon während seines Studiums, inzwischen seit gut 10 Jahren beschäftigt sich der 1972 in Bremen geborene, heute in Berlin lebende Maler Moritz Hasse mit diesem Thema. Stets malt er mit einheitlich großem Pinsel. Die Serien spiegeln zwar einerseits typische Impressionen der Städte, aber sie haben alle einen gemeinsamen Charakter. Häuser, Autos, Schilder, Bäume, nur selten Menschen, kein Detail beansprucht besondere Aufmerksamkeit. Aber ebenso ist nichts als nebensächlich gekennzeichnet. Alles wirkt alltäglich, verbindlich und erzeugt dennoch zugleich eine seltsame Irritation. [...]

Textauszug von Carolyn Heinz

Die Normalität der Mittelklassewagen

Zufrieden mit dem Straßenausschnitt im Sucher der Kamera will Moritz Hasse gerade auf den Auslöser drücken, als jemand ausparkt und die ganze Komposition zum Teufel fährt. Moritz Hasse zieht die Nase kraus beim Lächeln. Nein, er ist kein Autofotograf, er hat noch nicht einmal einen Führerschein, er ist Maler, und Straßenzüge sind seit über 10 Jahren sein Motiv.

Moritz Hasse, geboren 1972 in Bremen, ist seit 1995 in Berlin. Er kam von der Muthesiusschule Kiel, um an einer Hochschule weiterzustudieren, vor allem um in einer Großstadt zu leben. Die in Berlin möglichen ad-hoc-Karrieren galt es zu prüfen. Die Legenden der wüsten 80er Jahre mit dem tollen Knäuel aus malenden Musikern und singenden Malern versprachen Gutes. „Die große Zahl an Galerien und Ausstellungsräumen hier reizt mich immer noch.“ Zu der Zeit, da sich die zappelige Kunstszene auf den neuen Standort Berlin einigt, Mitte der 90er Jahre, verschwindet Moritz Hasse erst mal in der UDK und beendet sein Studium.

„Meine Beobachtungen dort waren nicht sonderlich großstädtisch“, stellt Hasse amüsiert fest. Die UDK kämpfte mit Diskrepanzen zwischen neu gefordertem internationalen Anspruch und dem dort über Inseljahrzehnte etablierten Regionalismus, Provencestillleben malende Professoren inklusive.

„Gute Malerei gibt es gar nicht so oft“, sagt er, auch mit Blick auf den Malerei-Hype aus Leipzig. Er ist nicht apodiktisch, aber er ist sich sicher. Gelassenheit ist ein wesentliches Merkmal seiner Person. „Es ist tunlichst zu vermeiden, beim Bildermalen sich selbst therapieren zu wollen.“ Gelassen ist Hasse auch gegenüber den wirren Anforderungen, die an Künstler gestellt werden: Konzentration, Intuition, Widerstand, Anpassung, Versponnenheit, Präsenz. Am besten alles Gleichzeitig. Moritz Hasse betrinkt sich nur, wenn er Lust dazu hat. Seine Arbeitsbedingungen entwickeln sich in seinem Sinne. Er muss weniger jobben im Café und hat mehr Zeit zu malen. Gerade hat Hasse einen neuen Galeristen. Im Herbst wird er auf der Messe „Art fair“ in Köln vertreten sein.

Die heftigen Schwankungen der öffentlichen Zuneigung für Positionen und Personen verfolgt er als teilnahmsvoller Beobachter. „Ich halte mich raus, Nervosität bringt meiner Arbeit nichts.“ Das bange Gefühl, irgendwo nicht mitmachen zu dürfen, ist ihm fremd. „Ich glaube, dass die Akzeptanz unter Kollegen hergestellt ist, sobald man klarmachen kann, dass man sich durchschlägt.“

Bange Gefühle hatte er, als er nach einer langen Arbeitsphase feststellte, dass er auf Terpentin allergisch reagiert. Was tun? Umsatteln auf Automechaniker? „Ein Mundschutz schützt nun mein Hirn vor der endgültigen Erweichung“, sagt er ironisch, „und lüften kann man ja auch.“

Moritz Hasse malt und malt, weil diese Technik Teil des kulturellen Gedächtnisses ist. Emotionalität funktioniert unabhängig von der Innovation. „Die spitzfindigen Ausdifferenzierungen der kunstinternen Diskurse sind interessant, aber nicht erstes Kriterium für die Beurteilung meiner eigenen Arbeit“, sagt er.

„Mein Blick ist natürlich davon geprägt, auch von Film und Fotografie, aber „Maler pflegen eigene Helden.“ Er zählt einige auf: Cézanne, Liebermann, Hopper, Richter, auch Fotografen, Struth zum Beispiel.

Licht auf Fassaden. Moritz Hasse malt mit einheitlich großem Pinsel. Auf diesen Bildern wird keine spezielle, besonders wichtige Sache betont. Es sind gut beleuchtete Schauplätze für „Tatort“ oder Wahlkampf, die Schauspieler sind aber nicht da. Die Straßen liegen ungerührt, sie taugen nicht zur Projektionsfläche. „Ich geheimnisse nichts in meine Arbeiten hinein, weder inhaltlich noch formal, ästhetizistische Zauberstücke sind nicht meine Sache.“

Die Motive stammen aus sehr verschiedenen Städten der Welt. Rom, Moskau, Williamsburg/NY, Berlin. Städte, die mit der Entwicklung bürgerlicher Zivilgesellschaft entstanden, ähneln einander. Trotz shrinking citys und verödender Innenstädte berichten die Mittelklassewagen auf Hasses Bildern von dieser Konstante. „Die Bilder sind Dokumente der Normalität. Nicht dass ich Normalität besonders toll fände, aber es ist genau die Umgebung, die prägt, ob man sich ihrer bewusst ist oder nicht.“ Als Nächstes reist Hasse nach Istanbul.

Beim Betrachten vollzieht man die gute alte Eroberung der Welt als Bild. Moritz Hasse gehorcht dem Problem, das uns kommandiert - der Wirklichkeit.

Nora Sdun